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Heute verwirklichen wir (endlich!) unseren Plan,
hilfsbedürftige Familien zu besuchen. Die erste Familie
besuchen wir vormittags zusammen mit Armens Mutter. Sie
hat von einer Kollegin die Adresse bekommen. Wir werden in einem relativ gut eingerichteten Wohnzimmer von der Großmutter empfangen, die hier zusammen mit einer Tochter und einer Enkeltochter wohnt. Zusätzlich eingezogen ist vor kurzem eine sechsköpfige verwandte Familie, die unsere Unterstützung bekommen soll. Der Vater ist seit einer Operation arbeitsunfähig. Er, seine Frau und die vier Kinder leben in einem Raum. Nach kurzer Zeit ist die Familie weitgehend versammelt. Günter erklärt: "Als ich ein Kind war, war in Deutschland gerade der zweite Weltkrieg zu Ende. Es herrschte eine große Not, und wir haben damals viel Hilfe bekommen, vor allem aus Amerika, und diese Hilfe wollen wir heute weiter geben, und wir bitten euch, sie als eine brüderliche Hilfe anzunehmen." |
Die Familie bekommt 100 Dollar von uns, außerdem eine Salami,
Schokolade für die Kinder und ein Neues Testament, das sehr
gerne genommen wird. Wir versprechen, im Herbst wiederzukommen
und die Familie weiter zu unterstützen. Der Familienvater ist
sehr gerührt und bedankt sich sehr herzlich. Es entsteht eine
ganz ungezwungene, fröhliche Stimmung. Es gibt Kaffee, man
erzahlt uns noch Einzelheiten über das Schicksal der
Familie. In der Ecke steht ein Klavier, das ich natürlich
ausprobieren muss. Ich spiele zwei, drei Choräle. Danach gibt es
armenische Klaviermusik zum zuhören. Nach einer knappen Stunde
verabschieden wir uns. Später haben wir erfahren, dass die
Familie das Geld noch mit anderen geteilt hat.
Wir fahren zum Hotel "Razdan", indem die deutsche
Botschaft untergebracht ist. Der Botschafter Norbert Heinze hat
uns zum Mittagessen eingeladen. Es gibt Brot und Salate, dazu türkische
Cola, und Tann, eine Mischung aus saurer Milch und Mineralwasser,
mit der ich mich überhaupt nicht anfreunden kann.
Das Gespräch dreht sich um die politische Situation. Herr Heinze
befürchtet, dass die Armenier auf die nächste
aserbaidschanische Offensive mit weiteren Gegenangriffen
antworten könnten und dann eine strategisch wichtige
Eisenbahnlinie unterbrechen würden. Dann stände Armenien endgültig
als Aggressor da.
Aserbaidschan ist dem NATO-Kooperationsprogramm "Partnerschaft
für den Frieden" beigetreten. Ich frage nach den
Auswirkungen auf den Krieg und erfahre, dass Armenien diesem
Programm wahrscheinlich ebenfalls beitreten wird. Es geht
um bestimmte Verhandlungsmechanismen, zu denen sich die Staaten
verpflichten.
Herr Heinze berichtet von seinen Bemühungen um die Einrichtung
einer Kinderleukämiestation in Eriwan. Das Land Hessen stellt 50.000,-DM
zur Fortbildung armenischer Ärzte bereit. Eine Partnerklinik in
Frankfurt konnte gewonnen werden. Wir beschließen, unsere
Medikamenteneinkaufspreise zu vergleichen und bekommen noch die
Wahlbriefe für die Europawahl mit, da die Post in Armenien kaum
oder gar nicht arbeitet, jedenfalls nicht zuverlässig.
Unten am Hotel stehen zwei der teuersten und neuesten Autos, die
ich in Armenien gesehen habe. Eins gehört der Unicef, das
andere dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Uno.
Besuch bei der zweiten Familie: Mutter, Großmutter und Tochter.
Wir sprechen mit der Mutter, die seit einigen Monaten im
Rollstuhl sitzt. Sie hatte mit 13 Jahren Kinderlähmung gehabt.
Jetzt ist sie 49 Jahre, In einer Reha-Klinik, in der Spätfolgen
der Krankheit behandelt werden sollten, wurde ein Nerv verletzt.
Sie fängt an zu weinen, während sie erzählt. Im Winter hat sie
Erfrierungen an den Füßen bekommen. Die Familie lebt von zwei
Renten zu je 400 Dram. Früher haben sie Unterstützung von einer
Familie aus Ostdeutschland bekommen. Der Kontakt ist jetzt
abgebrochen. Günter erklärt wieder, ähnlich wie bei der ersten
Familie, unser Vorhaben. Als wir eine Salami auspacken, sagt uns
die Frau, dass sie seit einem Jahr keine Wurst mehr gegessen hat.
Ich werde gebeten, in die Bibel eine Widmung hineinzuschreiben,
ruhig auf deutsch. Die Tochter kocht Kaffee, wir machen ein Foto,
und nach einer guten halben Stunde gehen wir wieder, aber nicht
ohne zu versprechen, im September wieder zu kommen, Auch diese
Familie hat erst einmal 100 Dollar bekommen.
Am späten Nachmittag sind wir mit Professor Budagian
unterwegs. Wir besuchen fünf von ihm ausgewählte
Familien. Es sind alles Kriegswitwen mit zwei bis fünf
Kindern. Wahrscheinlich hat Herr Budagian diese Gruppe
ausgewählt, weil sie ein hohes Ansehen genießen und den
Neid der Nachbarn nicht zu sehr fürchten müssen. Unser Besuch mit sieben Personen war ja nicht immer ganz unauffällig. Herr Budagian scheint all die Familien gut zu kennen. Er hat überall sofort Kontakt zu den Kindern. Unsere Besuche laufen alle ähnlich ab wie die ersten beiden. |
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Erwähnen möchte ich noch, dass zwei der drei Familien bei
den Großeltern einziehen mussten, in einem Fall deshalb, weil
die Wohnung abgebrannt war. Die Einrichtung ist manchmal sehr dürftig,
in einigen Fällen, wie auch bei der gelähmten Frau sind gute Möbel
und schönes Porzellan da und erinnern an bessere Zeiten. Auffällig
ist, dass alle viel Wert auf ordentliche Kleidung legen. Einige
der Witwen tragen schwarz.
Ob wir denn einen neuen Zugang zum Glauben brauchen, fragt mich
ein junger Mann, der unseren Besuch bei seinen Verwandten
miterlebt. Hier und da ergibt sich ein kurzes Gespräch über
Gottes Wort. Die Neuen Testamente werden überall dankbar
angenommen, sogar von Professor Budagian, der sich sonst nichts
schenken lässt, was er nicht weiter gibt.
Abends rechnen wir dann die Finanzen durch, Wir haben diesmal
nicht das Geld in den Familien verteilt, sondern angekündigt,
dass Professor Budagian monatlich Geld bringen wird, so wie mit
ihm abgesprochen. Er bekommt zunächst 1000 Dollar von uns und
schlägt vor, pro Kind pro Monat 15 Dollar auszuzahlen, zunächst
für drei Monate. Es können also 22 Kinder unterstützt werden,
neben den von uns besuchten Familien weitere sieben Kinder. Wir
versprechen, das nötige Geld für die Fortsetzung der Aktion im
Herbst mitzubringen. Auf unterschriebene Quittungen verzichten
wir.
Die Armenienhilfe
eine Projektvorstellung
Wie alles begann
Es geht weiter
Erlebnisse und Bekanntschaften in
Armenien
Ausblick
Ein Reisebericht- Zur
Vorgeschichte
Der 1. Tag der Reise
Der 2. Tag der Reise
Der 3. Tag der Reise
Der 4. Tag der Reise
Der 5. Tag der Reise
Der 7. Tag der Reise
1. Hütten und Häuser in Erivan
2. Unterkunft einer armen Familie